Mehr Finanzmittel für die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Zürich und Bern, 14. Juni 2021

Mehr Finanzmittel für die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Junge Menschen müssen sich kaum vor einer Corona-Erkrankung fürchten; trotzdem ist der Schaden, den die Pandemie insbesondere bei jungen Menschen angerichtet hat, hoch: Jugendliche und junge Erwachsene weisen zunehmend psychische Beschwerden bis hin zu schweren Depressionen auf. Der Verband Die Dargebotene Hand, die Stiftung Pro Mente Sana und der Fachverband Public Health Schweiz fordern unbürokratisch 125 Mio. Franken für Soforthilfe, um den Zugang zu bestehenden niederschwelligen Hilfs- und Therapieangeboten zu verbessern. Auch die Politik hat reagiert.

Die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist aufgrund der Corona-Pandemie stark belastet: Die einschränkenden Massnahmen haben zu Einsamkeit, Schulstress, Unsicherheit auf dem Lehrstellen- und Arbeitsmarkt und zu Zukunftsängsten geführt. Einer Umfrage der Universität Basel zufolge weisen 29% der befragten Jugendlichen schwere depressive Symptome auf. Sabine Basler, Geschäftsführerin der Dargebotenen Hand, bestätigt diese Entwicklung: «Themen wie psychisches Leiden, Einsamkeit und Gewalt haben bei den Anrufen von Jugendlichen um mehr als 100% zugenommen», sagt sie. Auch die mittlere Gesprächsdauer habe sich 2020 deutlich erhöht.

Lange Wartezeiten bei akuten psychischen Problemen

Damit psychische Belastungen vermindert und daraus resultierende Erkrankungen verhindert oder behandelt werden können, braucht es jetzt einen raschen Ausbau bestehender Angebote. «Psychische Belastungen und Erkrankungen verschwinden nicht von alleine», warnt Roger Staub, Geschäftsleiter von Pro Mente Sana. «Sie können vielmehr gravierende Folgen für die Betroffenen haben – gerade in jungen Jahren.» Aus diesem Grund fordern Die Dargebotene Hand, Pro Mente Sana und der Fachverband Public Health Schweiz, die bestehenden Versorgungsangebote und -strukturen für Therapie und Krisenintervention rasch auszubauen.

«Bereits vor Corona haben wir im Manifest für Kinder- und Jugendgesundheit darauf verwiesen, dass die psychiatrisch-psychotherapeutische Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz ungenügend ist», erinnert Daniel Frey, Arzt und ehemaliger Direktor der Schulgesundheitsdienste der Stadt Zürich sowie Vorstandsmitglied von Public Health Schweiz. Die Situation habe sich durch die Pandemie nun noch verschärft. Dass ein junger Mensch in einer psychischen Krise teilweise mehrere Monate auf ein Versorgungsangebot warten muss, findet Frey unhaltbar.

Forderung nach unbürokratischen Bundesmitteln

Um den jetzt noch unabsehbaren mittel- und langfristigen Folgen auf die psychische Gesundheit von jungen Menschen vorzubeugen, sind kurzfristig mehr Plätze für die Behandlung notwendig. Zwar wurde unlängst beschlossen, die psychologische Psychotherapie von der Grundversicherung zu bezahlen, sofern sie auf Anordnung eines Arztes oder einer Ärztin erfolgt. Die Regelung tritt aber erst am 1. Juli 2022 in Kraft. «Eine frühere Inkraftsetzung dieser Regelung würde das Angebot an Psychotherapieplätzen für Kinder und Jugendliche rasch vergrössern», meint Daniel Frey.

Viele weitere Sofortmassnahmen wären rasch umsetzbar: Erste-Hilfe-Kurse vergünstigt anbieten, bei denen der Fokus auf der Begleitung von psychisch belasteten Jugendlichen liegt. Oder die psychische Gesundheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch gezielte Aktivitäten in der Schule, in Lehr- und Ausbildungseinrichtungen sowie an Jugendsportanlässen stärken. Die laufenden Kampagnen könnten ausgebaut werden, um für die eigene Befindlichkeit zu sensibilisieren und das Hilfeholen zu enttabuisieren. Auch sollten die Schulpsychologischen Dienste der Kantone unterstützt werden, die aktuell bis zum Beginn der Behandlung als Überbrückung viele betroffene Kinder und Jugendlichen betreuen und an Kapazitätsgrenzen stossen. Und nicht zuletzt wäre wichtig, dass niederschwellige Angebote ausgebaut und besser bekannt gemacht werden.

Für diese dringlichen Massnahmen schlagen Die Dargebotene Hand, die Stiftung Pro Mente Sana und der Fachverband Public Health vor, jetzt 125 Mio. Franken Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, vergleichbar zum Förderprogramm über 50 Mio. Franken für die Entwicklung von Medikamenten. «Im Vergleich zur Schnelltestmilliarde ist dieses Budget bescheiden», sagt Roger Staub. «Jetzt nichts tun, wird viel teurer. Die Problematik verschärft sich zusehends. Es ist eine Illusion, davon auszugehen, dass sich dies mit den Lockerungsschritten von selbst erledigt.» Es sei mit gravierenden Folgen für die betroffenen Jugendlichen und ihre Familien zu rechnen. Dies sehen auch die Stiftung Pro Juventute und die Dachverbände der Jugendorganisationen so; sie haben unlängst einen Appell lanciert, der eine Post-Corona-Strategie für Jugendliche fordert.

Politik hat reagiert

Die Parlamentarier*innen in Bern sind auf die Aufrufe der Expert*innen und Fachstellen aufmerksam geworden. «Es ist offensichtlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht», sagt Nationalrätin Sandra Locher Benguerel, selbst Pädagogin. Sie hat gemeinsam mit der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates ein Postulat zur Stärkung der Psychischen Gesundheit der Jugend eingereicht, das am kommenden Mittwoch im Nationalrat traktandiert ist. Es fehle ein Gesamtüberblick über die aktuelle Lage in der Schweiz, so Locher Benguerel. Nationalrat Nik Gugger bestätigt den Handlungsbedarf: «Wenn psychische Erkrankungen erst mit grosser Verzögerung korrekt erkannt und behandelt werden, führt dies zu einer höheren Krankheitslast für die Betroffenen und zu höheren Kosten für die gesamte Gesellschaft», sagt er. Er wird daher in der laufenden Sommersession einen breit abgestützten Vorstoss einreichen, der die ungenügende psychische Versorgungslage von Kindern und Jugendlichen adressiert.

Erweiterte gesetzliche Grundlage

Expert*innen der Gesundheitsförderung und Prävention fordern schon lange mehr Massnahmen für Prävention. «Das Problem ist, dass es an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, um präventive Massnahmen langfristig zu finanzieren», sagt Corina Wirth, Geschäftsführerin von Public Health Schweiz. Roger Staub verweist auf die Notwendigkeit einer nationalen Koordination und Steuerung der Aktivitäten. Dazu brauche es mittelfristig erweiterte gesetzliche Grundlagen in Ergänzung zum Krankenversicherungsgesetz KVG. Schon in wenigen Jahren werden psychische Erkrankungen die grösste gesundheitliche Herausforderung für die Schweiz sein und Gesellschaft und Wirtschaft massiv beeinträchtigen. Dass die Politik das Thema psychische Gesundheit aufgenommen hat, lässt die Fachleute hoffen: Vielleicht führt ein übernächster Schritt zu einer neuen gesetzlichen Grundlage.


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